UN-Auszeichnung für WBH-Studierende
Die UN World Tourism Organization (UNWTO) verleiht jährlich – erstmals 2021 – die Auszeichnung „Best Tourism Village“ und ehrt damit nachhaltige Tourismusprojekte, die mit ihrem Bestehen einen wichtigen Beitrag für den Weg zu einer nachhaltigen ruralen Entwicklung auf der ganzen Welt leisten.
Im vergangenen Jahr ging diese Auszeichnung an die Mulu Eco Lodge, einem Tourismusdorf in den Choke Bergen in Äthiopien. Die Lodge ist autark und netzunabhängig. Moderne, nachhaltige Technologien, wie Fotovoltaik, Solarthermie, Komposttoiletten, Solarwasserpumpen, rauchfreie und effiziente Holzöfen, sollen Umwelt und Gesundheit der beheimateten Bauernfamilien schützen. Die Umsetzung mit einfachsten und möglichst lokalen Mitteln ermöglicht es den Bauernhaushalten, die Technologien für sich zu adaptieren, um so ihren eigenen Lebensstandard zu verbessern.
Als ihre Lodge Anfang 2022 vom Tourismusministerium für die Bewerbung um die Auszeichnung auserwählt wurde, war den beiden Gründer:innen des Dorfes – Valerie Seitz und Abiy Alem – noch nicht bewusst, wo sie Anfang 2023 stehen würden: auf einer Bühne in AlUla, Saudi Arabien. Hier wurde ihnen feierlich der Preis überreicht. Die Gründer:innen sind heute nicht nur darüber glücklich, dass ihr Herzensprojekt solch einen Erfolg feiern darf – die Auszeichnung hat auf nationaler und internationaler Ebene eine besondere Bedeutung für Äthiopien. Aufgrund der Auszeichnung genießt das Land aktuell eine besonders große, positive Medienaufmerksamkeit.
Die Mitgründerin der Mulu Eco Lodge, Valerie Seitz, ist Studierende der WBH. Nach ihrem abgeschlossenen Bachelor in „Energieverfahrenstechnik (B. Eng.)" macht sie aktuell ihren Master (M.Sc.) in „Nachhaltigkeitstechnologien und -management“. Wir durften Valerie Seitz einige Fragen zu sich, ihrem Leben in Äthiopien und der UN-Auszeichnung stellen.
Die Mulu Eco Lodge haben Sie gemeinsam mit Ihrem Mann ins Leben gerufen. Wie kam es zu dazu, dass Sie sich für genau dieses Projekt an genau diesem wundervollen Ort in Äthiopien entschieden haben?
Nach meinem Abitur habe ich mir einen Traum erfüllt und bin für ein Freiwilligenjahr nach Äthiopien gezogen, wo ich für eine kleine NGO gearbeitet habe. Dort habe ich meinen Mann Abiy kennengelernt. Er ist als Bauernkind aufgewachsen und hat es dank seiner Familie, für die trotz fehlender finanzieller Mittel die Bildung ihrer Kinder immer an erster Stelle stand, in die Hauptstadt und zu einem guten Beruf geschafft. Dabei hatte er aber immer den Traum, eines Tages in seine Gemeinschaft auf dem Land zurückzukehren, um dort etwas zurückzugeben und zu versuchen, bestehende Probleme zu lösen. Das Land und die Leute hatten mich in der zurückliegenden Zeit so fasziniert, dass ich sofort begeistert und bereit war, meine Energie und Fähigkeiten dort einzusetzen. Außerdem träumte ich schon immer von einem Leben in der Natur und mit Tieren. Ich brach mein Physikstudium in München ab und fand die Möglichkeit eines Fernstudiums an der WBH, das es uns erlaubte, in Äthiopien zu leben und unsere Vision Realität werden zu lassen. Durch das Ökotourismus-Studium meines Mannes entstand die Idee der Eröffnung einer Öko-Lodge in den Choke Bergen, der Heimat von Abiy. Wir hatten den Mut und haben die Idee umgesetzt. Heute ist es der Tourismus, der uns das Leben auf dem Land ermöglicht. Wir können uns auf soziale und ökologische Projekte konzentrieren, gleichzeitig schafft der Tourismus Einkommen und Jobs für die dort lebenden Bauern und die arbeitslose Jugend.
Aus über 132 Mitbewerber:innen wurde die Mulu Eco Lodge im März 2023 als „Best Tourism Village“ ausgezeichnet. Was macht die Mulu Eco Lodge in Ihren Augen so einzigartig?
Wir definieren uns selbst nicht als Tourismusprojekt, sondern arbeiten gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung an der nachhaltigen ruralen Entwicklung der Region. Unser Projektgebiet liegt 35 km von der nächsten Asphaltstraße und etwa eine Tagesreise von der Hauptstadt entfernt. Es gibt dort keine anderen Institutionen, NGOs, Projekte oder Infrastruktur etwa in Form von Restaurants oder Hotels. Hier eine Tourismusdestination aufzubauen, konnte sich niemand vorstellen. Auch das Vertrauen und Verständnis der Bauerngemeinschaft mussten wir zunächst gewinnen, um unseren Traum überhaupt realisieren zu können.
Auch heute noch ist die tiefe Integration und Partizipation der Bauerngemeinschaft maßgeblich für unser Projekt. Alles, was wir hier tun, passiert nur, wenn wir die 100-prozentige Zustimmung der lokalen Gemeinschaft haben. Wir bringen Ideen, z. B. zu Umweltthemen, Klimaschutz und Resilienz, ein, die letztendliche Entscheidung und Umsetzung liegt in der Hand der Gemeinschaft. In den letzten Jahren konnten wir unter anderem gemeinsam die Lodge bauen, den umliegenden etwa 8 Hektar großen indigenen Wald wiederaufforsten, eine Getreidemühle ermöglichen, einen Kindergarten – hoffentlich bald auch Grundschule – eröffnen, hunderte Solarlampen verteilen, Permakultur und regenerative Landwirtschaft umsetzen.
Unseren Gästen möchten wir die Möglichkeit geben, Teil der Bauerngemeinschaft zu sein, in das Leben der traditionellen Bauern integriert zu werden, umgeben von wundervoller Natur und Bergen. Trotz großer kultureller und sprachlicher Barrieren entstanden schon viele tiefe menschliche Bindungen zwischen unseren Gästen und der lokalen Gemeinschaft. Daraus ist ein großes, internationales Netzwerk um Mulu entstanden, das es uns in der Vergangenheit bereits ermöglichte, Spenden zu sammeln und Projekte umzusetzen.
Zusammengefasst würde ich unsere Einzigartigkeit so definieren: Tourismus als Weg zur nachhaltigen ruralen Entwicklung. Einerseits aus der Perspektive des Tourismus ist es die Entwicklung einer völlig neuen Tourismusdestination inklusive aller nötigen Infrastruktur und die Ermöglichung einer einzigartigen Erfahrung für Gäste. Andererseits der ganzheitliche Ansatz der nachhaltigen ruralen Entwicklung mit höchster Integration und Partizipation der Bauerngemeinschaft, der alle Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigt: unsere Wünsche als kleine Familie mit einem zweijährigen Sohn, die Wünsche der lokalen Gemeinschaft, die der Gäste und besonders auch die der Natur und Ökologie.
Welche Träume und Visionen haben Sie für die Zukunft?
Schritt für Schritt möchten wir aus der Mulu Eco Lodge das Mulu Eco Village entstehen lassen: Alle Bauernhaushalte sollen den Standard der Lodge haben, mit fließendem Wasser durch Solarpumpen, Solarstrom, hygienische und ökologische Sanitäreinrichtungen und durch regenerative Landwirtschaft und Permakultur weitgehend selbstversorgend.
Auch an der umliegenden Infrastruktur für ein sinnstiftendes und wertschätzendes Leben wollen wir weiter arbeiten: Für die Jugend ohne Landbesitz bauen wir in Zusammenarbeit mit der Addis Abeba Universität ein Smart Eco Village auf, mit Möglichkeiten für landwirtschaftliche Entrepreneurship. Die Grundsteine für eine Klinik wurden Anfang des Jahres 2023 gelegt, und nächstes Jahr soll unser Kindergarten in eine Grundschule erweitert werden. Das Empowering der Jugend hat einen zunehmenden Stellenwert für uns, und wir arbeiten an einer digitalen Bücherei und ermöglichen Englischunterricht für alle Altersklassen durch freiwillige Helfer:innen.
Sie haben an der WBH den Bachelor in Energieverfahrenstechnik studiert. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht Ihr Studium bei der Erfüllung Ihres Herzensprojekts, und was sind die Gründe, dass Sie sich noch für ein weiterführendes Studium in Nachhaltigkeitsmanagement entschieden haben?
Ein Fernstudium ermöglichte mir erst das Leben in Äthiopien auf dem Land und erlaubte uns, Mulu aufzubauen. Umwelt, Klima und erneuerbare Energien lagen mir aber auch schon immer sehr am Herzen, und so war ich sehr glücklich, Äthiopien und das Studium verbinden zu können. Inhaltlich gab es besonders im Bereich der erneuerbaren Energien viele Studienmodule, die uns bei der Umsetzung der Mulu Eco Lodge geholfen haben, wie zum Beispiel bei dem Aufbau einer Insel-Solaranlage für die Stromversorgung der Lodge.
Als ich nach Äthiopien kam, war ich erst 18 Jahre alt und relativ naiv, als wir mit Mulu begannen. Es war einfach ein Herzensprojekt von uns beiden, und wir sind mit den Aufgaben gewachsen. Da wir aber nun immer erfolgreicher und auch international anerkannt werden, habe ich mich für das Studium zum Nachhaltigkeitsmanagement entschieden, um das Projekt besser zu strukturieren und auch die theoretischen Hintergründe und Konzepte zu verstehen. Ich bin zuversichtlich, dass mir dieses Wissen dann auch bei der Bewerbung um Finanzmittel und bei der Umsetzung von Projekten in der Bauerngemeinschaft helfen wird, diese noch nachhaltiger zu gestalten.
Zudem hilft mir das Studium, unsere Arbeit im Rahmen der großen globalen Herausforderungen und Krisen zu sehen und so den Wert nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auch international zu erkennen.
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Frauen zählen auch heute noch zu den Personengruppen, die im Bereich MINT deutlich unterrepräsentiert sind. Valerie Seitz ist eine von den Frauen, die sich für ein WBH-Studium in diesem Bereich entschieden haben und einen erfolgreichen Weg gehen. Interessierte Frauen, die sich tiefergehend zu einem Studium informieren möchten, sind herzlich zu unserer Online-Infoveranstaltung „Frauen in MINT-Studiengängen“ am 11. Mai eingeladen (hier geht’s zur Anmeldung). Zudem sind wir am 12./13. Oktober in München auf der Messe „herCAREER“ anzutreffen.